Leitsätze
1. Sind langjährige berufliche und soziale Bindungen des Erblassers an seinen neuen tatsächlichen Aufenthaltsort vorhanden, muss der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 21 EuErbVO am Ort des tatsächlichen Aufenthalts nicht zwingend entgegenstehen, dass von dem Erblasser eine Rückkehr in sein früheres Heimatland beabsichtigt und ins Werk gesetzt worden war.
2. Umfasst der Nachlass eines Erblassers mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in der Volksrepublik China auch inländisches Grundvermögen, ist die von dem IPR der Volksrepublik China hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens angeordnete Anwendung des Erbrechts am inländischen Belegenheitsort zugleich gemäß Art. 34 Abs. 1 EuErbVO als Nachlassspaltung beachtlich.
3. Haben die Eheleute in dem gesetzlichen Güterstand einer Errungenschaftsgemeinschaft nach dem Ehegüterrecht der Volksrepublik China gelebt, kann der überlebende Ehegatte bei Anwendung deutschen Erbstatus einen nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Erbteil weder aufgrund einer international-privatrechtlichen Substitution des ausländischen Güterstands zur inländischen Zugewinngemeinschaft noch aufgrund einer international-privatrechtlichen Anpassung beanspruchen, sondern bleibt grundsätzlich auf den gemäß § 1931 Abs. 1 BGB nicht erhöhten gesetzlichen Erbteil beschränkt.
OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.09.2020 - 21 W 59/20
Auszüge aus den Gründen
Zum gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der EuErbVO:
"Unter einem gewöhnlichen Aufenthalt ist dabei der durch Gesamtbeurteilung ermittelte Daseinsmittelpunkt einer Person im Sinne des Schwerpunkts ihrer familiären, sozialen und beruflichen Beziehungen zu verstehen (vgl. Palandt/Thorn, EuErbVO, 2020, Art. 21 Rn. 6). Dies erfordert eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen, insbesondere der Dauer und der Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers im Zweitstaat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.12.2019, 15 W 488/17, BeckRS 2019, 44890, Rn. 4). Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung kann auch die Willensrichtung des Erblassers zu berücksichtigen sein (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018, 10 W 35/17, ZEV 2018, 343, juris, Rn. 7). Jedoch sind solche subjektiven Elemente nicht für sich allein geeignet, entgegen der objektiven Gestaltung der übrigen Lebensverhältnisse einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018, 10 W 34/17, ZEV 2018, 343, juris, Rn.7, Beschluss vom 17.12.2019, 15 W 488/17, BeckRS 2019, 44890, Rn. 4). Eine Mindestdauer des tatsächlichen Aufenthalts im Drittstatt wird von Art. 21 EuErbVO für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts oder die Feststellung des dabei als subjektives Element abwägungsrelevanten Bleibewillens (animus manendi) nicht gefordert. Schon ein Aufenthalt von wenigen Wochen kann ausreichend sein, um einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Verordnung zu begründen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 12.09.1019 - 6 AR 1/19, FGPrax 2019, 217). Denn der Aufenthaltsbegriff der Verordnung umfasst insoweit nur ein qualitatives, aber kein quantitatives Zeitelement (vgl. Süß, Erbrecht in Europa, 2015, § 2 Rn. 17). Demzufolge kann auch das aufgrund eines fortbestehenden Rückkehrwillens für sich genommen geringere Gewicht des einfachen Bleibewillens im Rahmen der Gesamtabwägung trotz bestehen gebliebenen Rückkehrwillens durch längere Dauer des Aufenthalts im Fremdstaat und dortige Verwurzelung des Erblassers aufgewogen werden (vgl. Palandt/Thorn, BGB, 2020, Art. 21 EuErbVO Rn. 6).
Ein vorbehaltloser Bleibewille unter Ausschluss jeder Rückkehrabsicht (animus de manendi et non revertendi), wie nach dem internationalen Privatrecht Großbritanniens oder der Einzelstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika als intention to remain forever oder mental attitude to remain for an indefinite future zur Begründung eines domicile of choice erforderlich wäre (vgl. dazu Rauscher, Internationales Privatrecht, 2017, Rn. 286 ff., Frank/Leithold, ZEV 2014, 462, 464), ist für Art. 21 EuErbVO nicht erforderlich (vgl. Geimer/Schütze/Wall, Internationaler Rechtsverkehr, Art. 4 EuErbVO Rn. 71 mwN). Er kann deshalb zwar ein Element innerhalb der Gesamtabwägung darstellen, das erhöhte Anforderungen an die übrigen auf einen Lebensmittelpunkt im Aufenthaltsstaat hinweisenden objektiven und subjektiven Abwägungselemente rechtfertigt, steht einem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers an seinem im Todesfall bestehenden schlichten Aufenthalt aber nicht zwingend entgegen, dass er im Zeitpunkt seines Ablebens eine Rückkehr in seinen früheren Heimatstaat nicht völlig ausgeschlossen oder sogar beabsichtigt hatte (vgl. Geimer/Schütze/Wall, Internationaler Rechtsverkehr, Art. 4 EuErbVO Rn. 71 a.E.)."
Zur Ersetzung (Substitution) einer Zugewinngemeinschaft als Tatbestandsmerkmal in § 1371 BGB durch eine Errungenschaftsgemeinschaft (nach chinesischem Recht):
"In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein ausländischer Güterstand, der aus deutscher Sicht als Errungenschaftsgemeinschaft anzusehen ist, nicht für eine Anwendung des § 1371 BGB im Wege einer internationalprivatrechtlichen Subsitution in Betracht kommt (vgl. z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 21.03.2019 - 10 W 31/17, ZEV 2019, 343, juris, Rn. 32, ähnlich OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.11.2016 - 20 W 103/15, ZEV 2017, 1169, juris, Rn. 59 f. <Anpassung entbehrlich>). Dem folgt auch die überwiegende Literatur (vgl. z.B. Dutta/Weber/Fornasier, EuErbVO, 2016, Art. 63 EuErbVO Rn. 32).
Die Auffassung, wonach eine Anwendung des § 1371 BGB im Wege internationalprivatrechtlicher Substitution auch für aus deutscher Sicht als Errungenschaftsgemeinschaft anzusehende Güterstände ausländischen Rechts in Betracht kommen soll, wird nur eher vereinzelt vertreten (vgl. etwa Sakka, MittBayNot 2018, 4, 7). Sie vermag auch in der Sache nicht zu überzeugen.
Denn für die Fragestellung, ob das zur Anwendung berufene ausländische Ehegüterrecht eine Erbteilserhöhung nach § 1371 Abs. 1 BGB rechtfertigt, ist richtigerweise maßgeblich darauf abzustellen, ob das ausländische Recht hinsichtlich des Ausgleichsmechanismus bei Tod eines Ehegatten dem Ausgleichsmechanismus der Zugewinngemeinschaft deutschen Ehegüterrechts funktional gleichwertig ist (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, § 1931 BGB Rn. 10). Von einer solchen funktionalen Vergleichbarkeit kann jedoch nicht schon allein deshalb ausgegangen werden, weil der ausländische Güterstand bei Beendigung durch Tod eines der beiden Ehegatten überhaupt irgendeine Form der wirtschaftlichen Beteiligung des überlebenden Ehegatten an dem gemeinsam erwirtschafteten Vermögen kennt. Vielmehr ist richtigerweise zu fordern, dass es sich dabei um eine im Rahmen der Beendigung der Ehe durch Tod zu § 1371 Abs. 1 BGB funktional vergleichbare Ausgleichsregelung handelt (vgl. Süß DNotZ 2018, 742, 752). Daran fehlt es, wenn der überlebende Ehegatte im Rahmen eines aus deutscher Sicht als Errungenschaftsgemeinschaft einzuordnenden Güterstands ausländischen Rechts bereits zu Lebzeiten des Erblassers dinglich an dem während der Ehe erworbenen Vermögen partizipiert, statt in der Zugewinngemeinschaft vergleichbarer Weise auf einen erst bei Beendigung der Ehe anfallenden, schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch verwiesen zu werden (vgl. Dutta/Weber/Fornasier, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 63 EuErbVO Rn. 32, Weber, NJW 2018, 1356, 1357f.)."
Anmerkung:
Die Entscheidung überzeugt. Insbesondere ist - anders als bei einem Wahldomizil (domicile of choice) - ein Bleibewille (aninmus manendi) für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes nicht zu verlangen.
Glossar: Gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der EuErbVO; Unbewegliches Vermögen; Drittstaat im Sinne der EuErbVO; Domizil (domicile); Wahldomizil (domicile of choice); Anpassung; Substitution;