Anwendbares Recht im deutsch-kanadischen Erbfall

Als Fachanwalt für Erbrecht und Spezialist für deutsch-kanadisches Erbrecht berate ich oft Erben und Nachlassabwickler (personal representative, executor) in Kanada bei der Regelung eines Nachlasses eines Kanadiers oder Deutschen in Deutschland. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, welches Erbrecht im deutsch-kanadischen Erbfall anzuwenden ist. Der Beitrag erläutert einführend die Regeln zur Bestimmung des anwendbaren Rechts im deutsch-englischen Erbfall.

Keine einheitlichen Regeln zur Ermittlung des anwendbaren Erbrechts 

Das anzuwendende Recht wird nach dem internationalen Privatrecht (Conflict of Laws) bestimmt. Da Kanada kein Mitgliedsstaat im Sinne der EuErbVO und es keine zwischenstaatlichen Verträge zwichen Kanada in diesem Bereicht gibt, ist das im Erbfall anwendbare Recht gesondert aus kanadischer und deutscher Sicht zu prüfen.

Mehrrechtsstaat

Kanada ist ein Mehrrechtsstaat und hat kein einheitliches Erbrecht. Es gibt daher kein "kanadische Erbrecht", sondern nur das Erbrecht von Alberta, das Erbrecht von British Columbia, das Erbrecht von Ontario oder das Erbrecht von New Brunswick. Kanada hat auch kein einheitliches (nationales) Kollisionsrecht; hierzu verweisen wir auf den beitrag Internationales Erbrecht (IPR) Britisch Kolumbien und den Beitrag Internationales Erbrecht (IPR) – Kanada – Provinz Ontario. Da dieser Beitrag in das Thema einführen soll, wird auf die Besonderheiten der einzelnen Provinzen nachfolgend nicht im Einzelnen eingegangen. Vielmehr werden nur die Regeln dargestellt, die in ganz Kanada gleich sind und vereinzelt auf besondere Regeln der Provinzen hingewiesen. 

Anwendbares Erbrecht aus Sicht der Gerichte Kanadas

Verteilung des Nachlasses

Betreffen die Verteilung des Nachlasses (distribution of the estate) unterscheidet ein Nachlassgericht von Kanada (nachfolgend auch vereinfachend als "kanadisches Nachlassgericht" bezeichnet) zwischen dem beweglichen und unbeweglichen Nachlass (estate):

Die Möglichkeit der Rechtswahl ist im kanadischen Recht für den Nachlass (estate) nicht vorgesehen. 

Anzuwenden ist das Recht des Staates an, auf das verwiesen wird unter Ausschluss der Regeln des internationalen Privatrechts (für Ontario: siehe Art. 34  (c) SLRA; für BC: siehe Art. 79 Abs. 1 WESA ).

Nachlassabwicklung in Kanada

Für die Nachlassabwicklung (administration) - siehe dazu unten - gilt abweichend vom Vorgesagten das Recht des Staates, dessen Gerichte für die Bestellung des Nachlassabwicklers (personal representative) zuständig sind. 

Anwachsungsrecht auf den Tod 

Der Rechtsübergang auf den Tod eines Miteigentümers/Mitinhabers durch Anwachsungsrecht (joint tenancy) richtet sich nach dem Belegenheitsrecht (lex rei sitae). 

Trusts 

Für ein Treuhandvermögen (trust), das durch Testament (testamentary trust) oder zu Lebzeiten des Erblassers (living trust) errichtet wurde, gelten besondere Regeln. 

Anerkennung der Form nach eines nach deutschem Recht errichteten Testaments in Kanada

Kanada ist kein Mitgliedstaat des Haager Testamentsformübereinkommen.

Das Recht einiger Provinzen (z.B. Ontario oder British Columbia) enthält aber Regelungen, die den Regeln des Haager Testamentsformübereinkommens in etwa entsprechen. Andere Provinzen (z.B. Alberta) erkennen nur "internationale Testamente" in der Form des Washingtoner Übereikommens an. 

Anwendbares Erbrecht aus Sicht deutscher Gerichte

Anwendbarkeit der Europäische Erbrechtsverordnung

Für Erbfälle ab dem 17.8.2015 ist das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbare Recht nach den Regeln der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) zu bestimmen. Die EuErbVO ist auch anwendbar, wenn der andere Staat kein Mitgliedsstaat ist. Sie ist daher durch deutsche Gerichte auch im deutsch-kanadischen Erbfall im Hinblick auf alle Fragen der Rechtsnachfolge von Todes wegen im Sinne der EuErbVO anzuwenden. 

Allgemeine Kollisionsnorm

Nach Art. 21 EuErbVO (Allgemeine Kollisionsnorm) haben Gerichte eines Mitgliedsstaates mangels einer wirksamen Rechtswahl (oder einer besonderen Regelung in der EuErbVO) an das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der EuErbVO anzuwenden. 

Hinweis: Eine Ausnahme für Immobilien in Kanada gibt es nicht (mehr). Daher werden diese mangels wirksamer Rechtswahl bei letztem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers in Deutschland aus Sicht Deutschlands nach deutschem Recht vererbt. Hingegen wenden Gerichte Kanadas das Recht von Kanada an. Die können sich Erben oder andere Beteiligte unter Umständen durch Forum Shopping zu Nutze machen. 

Wenn somit das deutsche Recht auf das Recht von Kanada verweist, schließt dies allerdings (außer bei einer Rechtswahl) das internationale Privatrecht der kanadischen Provinzen ein, so dass es zu einer Rückverweisung zum deutschen Recht kommen kann.

Beispiel: Erblasser E stirbt mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Ontario ohne Hinterlassung eines Testaments.  Sein Nachlass beinhaltet unbewegliches Vermögen in Deutschland. Im Hinblick auf dieses unbewegliche Vermögen ist "Kraft Rückverweisung aus dem Recht der kanadiscehn Provinz Ontario" deutsches Recht anzuwenden.

Rechtswahl 

Nach Art. 22 EuErbVO kann eine Person für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.

Art. 22 EuErbVO ist dahin auszulegen, dass ein in einem Mitgliedstaat im Sinne der EuErbVO wohnhafter Angehöriger eines Drittstaates für die Rechtsnachfolge von Todes wegen im Sinne der EuErbVO das Recht des Drittstaats wählen kann (EuGH, Urt. v. 12.10.2023 – C-21/22). 

Vorsicht: Eine Rechtswahl nach der EuErbVO wird in Kanada in der Regel nicht anerkannt. 

Ergänzend verweisen wir auf die Ausführungen in dem Beitrag Rechtswahl und Fiktion der Rechtswahl nach der Europäischen Erbrechtsverordnung

Maßgebende Teilrechtsordnung

Da Kanada keine interne Kollisionsvorschriften hat, ist das Recht der kandischen Provinz anzuwenden, zu der der Erblasser die engste Verbindung hatte (vgl. Art. 36 EuErbVO).

Beispiel: Jeffrey Smith, kanadischer Staatsangehöriger aus Ontario, lebt dauerhaft in Deutschland. Er errichtet ein Testament und wählt darin das "kanadische Recht". Da Kanada keine Kollisionsvorschriften hat, kommt das Recht der Gebietseinheit zur Anwendung, zu der Jeffrey Smith die engste Verbindung hatte, also Ontario. 

Internationale Zuständigkeit

Zuständigkeit aus deutscher Sicht

Aus deutscher Sicht richtet sich die internationale Zuständigkeit in Erbsachen nach der EuErbVO. Hierzu verweisen wir auf den Beitrag Internationale Zuständigkeit in Erbsachen nach der EuErbVO

Zuständigkeit aus kanadischer Sicht

Kanadische Gerichte sind stets zuständig, wenn der Erblasser sein Domizil in Kanada (bzw. in der betreffenden Provinz) hatte. Ferner sind kanadische Gerichte im Hinblick auf das Vermögen in der Provinz zuständig. Nach dem Recht der Provinzen gibt es aber weitere Regelungen, die im Einzelfall zur Zuständigkeit oder Unzuständigkeit führen können. 

Anwendbares Steuerrecht

Vom Erbrecht zu unterscheiden ist das Steuerrecht. Im Steuerrecht kommt der Staatsangehörigkeit nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Da es ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf dem Gebiet der Erbschafts- und Schenkungssteuer zwischen Deutschland und Kanada gibt, richtet sich das Besteuerungsrecht nach den nationalen Steuerrecht von Kanada und Deutschlands Hierzu verweisen wir auf den Beitrag Kanada: Erbschaftssteuer und Steuern im Erbfall

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