Keine einheitlichen Regeln zur Ermittlung des anwendbaren Erbrechts
Das anzuwendende Recht wird nach dem internationalen Privatrecht (Conflict of Laws) bestimmt. Da das UK nicht die Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) unterschrieben hat, ist das anwendbare Erbrecht gesondert aus britischer und deutscher Sicht zu prüfen.
Mehrrechtsstaat
Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland (United Kingdom, kurz: UK) ist ein Mehrrechtsstaat und hat kein einheitliches Erbrecht. Es gibt also kein "Britisches Erbrecht" oder "Erbrecht von Großbritannien". Vielmehr ist das UK ein Mehrrechtsstaat und die Teilrechtsgebiete
- England & Wales,
- Schottland und
- Nordirland.
Die Teilrechtsgebiete haben kein einheitliches (nationales) Kollisionsrecht. Vielmehr hat jedes Teilrechtsgebiet seine eigenen Regeln, die sich allerdings kaum unterscheiden.
Anwendbares Erbrecht aus Sicht der Gerichte von England & Wales
Verteilung des Nachlasses
Betreffen die Verteilung des Nachlasses (distribution of the estate) unterscheidet ein Nachlassgericht von England und Wales (nachfolgend auch vereinfachend als "englisches Nachlassgericht" bezeichnet) zwischen dem beweglichen und unbeweglichen Nachlass (estate):
- Bewegliches Vermögen (movables): Anzuknüpfen ist an das Recht des letzten Domizils (domicile) des Erblassers.
- Unbeweglich Vermögen (immovables): Anzuknüpfen ist an das Belegenheitsrecht (lex rei sitae).
Die Möglichkeit der Rechtswahl ist im englischen Recht für den Nachlass (estate) nicht vorgesehen.
Wird auf das Recht von England und Wales verwiesen (z.B. aufgrund des Domizil des Erblassers in England), ist das Recht von England und Wales anzuwenden. Verweist das Recht von England und Wales auf das Recht eines anderen Staates oder Rechtsgebietes, so hat der Richter sodann zu prüfen, welches Recht ein Richter dieser Rechtsordnung (jurisdiction) anwenden würde; ist dies das Erbrecht von England und Wales, wendet das englische Gericht das Recht von England und Wales an. Dies wird als foreign court theory oder doctrine of total renvoi oder double renvoi bezeichnet.
Beispiel: Erblasser E, britischer Staatsangehöriger, stirbt mit letztem Hauptwohnsitz in Berlin, Deutschland. In London hatte er ein vermietetes Mehrfamilienhaus und ein Konto bei einer britischen Bank. In seinem Testament wählt er das Erbrecht von England und Wales. Aus Sicht eines Gerichts von England und Wales wird das Mehrfamilienhaus in London nach englischem Recht vererbt. Im Hinblick auf das Guthaben des Kontos verweist das englische Recht auf das deutsche Recht. Dieses verweist auf das englische Recht zurück, was das englische Recht akzeptiert - so dass im Ergebnis englisches Recht anwendbar ist.
Nachlassabwicklung in England und Wales
Für die Nachlassabwicklung (administration) - siehe dazu unten - gilt abweichend vom Vorgesagten das Recht des Staates, dessen Gerichte für die Bestellung des Nachlassabwicklers (personal representative) zuständig sind.
Anwachsungsrecht auf den Tod
Der Rechtsübergang auf den Tod eines Miteigentümers/Mitinhabers durch Anwachsungsrecht (joint tenancy) richtet sich nach dem Belegenheitsrecht (lex rei sitae).
Trusts
Für ein Treuhandvermögen (trust), das durch Testament (testamentary trust) oder zu Lebzeiten des Erblassers (living trust) errichtet wurde, gelten die Regelungen des Recognition of Trust Act 1987. Danach kann der Errichter (settlor) das anwendbare Recht wählen, sec. 6 Recognition of Trust Act 1987. Ist eine Rechtswahl nicht erfolgt, ist das Recht anzuwenden zu dem der Trust die engste Verbindung aufweist, sec. 7 Recognition of Trust Act 1987.
Anerkennung der Form nach eines nach deutschem Recht errichteten Testaments in England & Wales
Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland ist Mitgliedsstaat des Haager Testamentsformübereinkommens.
England hat dessen Regeln im Wills Act in nationales Recht übertragen. Nach Abschnitt 1 des Wills Act 1963 ist ein Testament der Form nach auch dann gültig, wenn es der Form des Rechts
- des Errichtungsortes, auch wenn der Erblasser sich nur zeitweise dort aufhielt, oder
- des Domizils des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments oder
- des Domizils des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes oder
- des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments oder
- des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes oder
- des Staates der Staatsangehörigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments oder
- des Staates der Staatsangehörigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt des Todes
genügt.
Anwendbares Erbrecht aus Sicht deutscher Gerichte
Erbstatut
Für Erbfälle ab dem 17.8.2015 ist das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbare Recht nach den Regeln der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) zu bestimmen. Danach knüpfen deutsche Gerichte mangels einer wirksamen Rechtswahl an das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der EuErbVO an.
Hinweis: Eine Ausnahme für Immobilien in England gibt es nicht (mehr). Daher werden diese mangels wirksamer Rechtswahl bei letztem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers in Deutschland aus Sicht Deutschlands nach deutschem Recht vererbt. Hingegen wenden Gerichte von England und Wales das Recht von England und Wales an. Die können sich Erben oder andere Beteiligte unter Umständen durch Forum Shopping zu Nutze machen.
Wenn somit das deutsche Recht auf das Recht von England und Wales verweist, schließt dies allerdings (außer bei einer Rechtswahl) das internationale Privatrecht von England und Wales ein, so dass es zu einer Rückverweisung zum deutschen Recht kommen kann.
Beispiel: Erblasser E stirbt mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in England ohne Hinterlassung eines Testaments. Sein Nachlass beinhaltet unbewegliches Vermögen in Deutschland. Im Hinblick auf dieses unbewegliche Vermögen ist "Kraft Rückverweisung aus dem Recht von England und Wales" deutsches Recht anzuwenden.
Internationale Zuständigkeit
Die internationale Zuständigkeit in Erbsachen richtet sich aus deutscher Sicht nach der EuErbVO. Hierzu verweisen wir auf den Beitrag Internationale Zuständigkeit in Erbsachen nach der EuErbVO.
Anwendbares Steuerrecht
Vom Erbrecht zu unterscheiden ist das Steuerrecht. Im Steuerrecht kommt der Staatsangehörigkeit nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Da es ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf dem Gebiet der Erbschafts- und Schenkungssteuer zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich gibt, richtet sich das Besteuerungsrecht nach den nationalen Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzen des UK und Deutschlands. Hierzu verweisen wir auf den Beitrag Erbschaftssteuer im deutsch-britischen Erbfall.