Anwendbares Recht im Hinblick auf die Schuldenhaftung
Nach welchem Recht sich die Rückzahlung der Schulden richtet, bestimmt sich nach dem Rechtsgrund der Schuld. Bei einem Darlehensvertrag wird z.B. das anwendbare Recht regelmäßig im Darlehensvertrag vereinbart. Bei einer Schuld aus Delikt (z.B. Verkehrsunfall) ergibt sich das anwendbare Recht regelmäßig aus dem Tatort.
Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Nachlass eines verstorbenen Schuldners oder die "Erben" für die Schulden des Schuldners haften. Diese Frage richtet aus Sicht eines deutschen Gerichts nach den allgemeinen Regeln über die Ermittlung des anwendbaren Erbrechts, siehe Art. 23 (2) g) EuErbVO. Hierzu verweisen wir auf den Beitrag Anwendbares Recht im deutsch-englischen Erbfall.
Hingegen regelt sich die Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten aus der Sicht eines Gerichtes von England und Wales nach dem Recht des Gerichts, das den Nachlassabwickler bestellt hat (lex fori).
Haftung für Nachlassverbindlichkeiten nach dem Recht von England und Wales
Ist das Recht von England und Wales anwendbar haften die Begünstigten (beneficiaries) in der Regel nicht für die Nachlassverbindlichkeiten (estate debts). Vielmehr haftet nur der Nachlass (estate). Für diesen tilgt der Nachlassabwickler (personal representative) aus dem Nachlass die von den Gläubigern (creditor) angemeldeten oder sonst bekannten Schulden des Erblassers; insoweit verweisen wir auf den Abschnitt „Tilgung der Bestattungkosten, Erblasserschulden und Kosten der Nachlassabwicklung“ in unserem Beitrag zum förmlichen Nachlassverfahren in England und Wales.
Sofern der Nachlass nicht ausreicht um alle Gläubiger (creditor) zu bezahlen, haften nicht etwa die Begünstigten, sondern die Gläubiger gehen regelmäßig insoweit leer aus.
Verteilt der Nachlassabwickler Nachlassgegenstände an die Begünstigten und melden sich sodann Gläubiger des Nachlasses, können die Begünstigten unter Umständen zur Herausgabe des Erlangten zur Tilgung der Verbindlichkeiten verpflichtet sein.
Der Nachlassabwickler selbst kann unter Umständen für die Verteilung haften, wenn er unter Verletzung seiner Pflichten verfrüht verteilt hat.
Ausnahmefälle
Ausnahmsweise können Begünstigte in folgenden Fällen (beschränkt) haften:
- Der Begünstigte ist Mitschuldner (z.B. weil er einen Darlehensvertrag mit unterschrieben hat).
- Es gibt (nach dem Recht eines anderen Staates) eheliches Gesamtgut (community property), welches nach dem maßgebenden Recht für Verbindlichkeiten eines Ehegatten haftet.
- Der Begünstigte hat Vermögen des Erblassers (während der Nachlassregelung) an sich genommen.
Ferner kann das Erlangte zur Schuldentilgung herauszugeben sein, wenn ein "Erwerb außerhalb des Nachlasses" (z.B. über joint tenancy) erfolgt ist und der Nachlass nicht für die Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten ausreicht. Die Gläubiger können dann innerhalb von fünf Jahren nach dem Tod eine gerichtliche Anordnung über die Haftung (Insolvency Administration Order) beantragen.
Ausschlagung der Begünstigung
Da die Nachlassverbindlichkeiten in den meisten Fällen von dem Nachlassabwickler zu tilgen sind und es folglich dann auch keine Schuldenhaftung gibt, ist die Vermeidung der persönlichen Haftung regelmäßig kein Grund für eine Zurückweisung (disclaimer) des Rechts. Vielmehr werden mit einer Ausschlagung in England und Wales in aller Regel andere Ziele verfolgt; insoweit verweisen wir auf den Beitrag Die Ausschlagung einer Erbschaft nach dem Recht von England und Wales.
