Pflichtteil und gesetzliche Rechte nach dem Recht von England und Wales

Unser deutsch-britisches Team (deutsche Fachanwälte für Erbrecht, ein englischer Anwalt) für deutsch-englisches Erbrecht berät umfassend im deutsch-englischen Erbfall, insbesondere zu Fragen des Pflichtteils und anderer zwingender Rechte. Der Beitrag erläutert, welches Recht im deutschen-englischen Erbfall im Hinblick auf den Pflichtteil und ähnliche Rechte anzuwenden ist und was die Voraussetzungen für solche Ansprüche sind.

Anwendbares Recht 

Das anzuwendende Recht wird nach dem internationalen Privatrecht (Conflict of Laws) bestimmt. Da das UK nicht die Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) unterschrieben hat, ist das anwendbare Erbrecht gesondert aus englischer und deutscher Sicht zu prüfen.

Sicht der Gerichte von England & Wales

Zur Bestimmung des auf die Ausschlagung anwendbaren Rechts sind die allgemeinen Grundsätze für die Rechtsnachfolge von Todes wegen maßgebend. Hierzu verweisen wir auf den Beitrag Anwendbares Recht im deutsch-englischen Erbfall

Allerdings ist zu beachten, dass Ansprüche nach dem Inheritance (Provision for Family and Dependants) Act 1975 voraussetzt, dass der Erblasser sein Domizil (domicile) im UK hatte. 

Sicht deutscher Gerichte

Für Erbfälle ab dem 17.8.2015 ist das anwendbare Erbrecht nach den Regeln der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) zu bestimmen. Hierzu verweisen wir auf den Beitrag Anwendbares Recht im deutsch-englischen Erbfall

Hervorzuheben ist, dass die Nichtanwendung des deutschen Pflichtteilsrechts in Folge einer Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO zum englischen Recht die deutsche Öffentliche Ordnung (ordre public) verletzen kann (BGH. Urteil vom 29.06.2022, Az. IV ZR 110/21). Allerdings ist zu beachten, dass die Entscheidung zu einem Fall ergangen ist, in dem der einzige Anknüpfungspunkt an das Recht von England und Wales die Staatsangehörigkeit des Erblassers war. 

Unsere Leistungen: Wir unterstützen Sie bei der Durchsetzung des deutschen Pflichtteils in Deutschland. Bei Rechtswahl oder fingierte Rechtswahl um Recht von England und Wales prüfen wir für Sie, ob gleichwohl Aussicht auf den deutschen Pflichtteil besteht. 

Kein Pflichtteil im Erbrecht von England und Wales

Das Erbrecht von England & Wales ist vom Grundsatz der Testierfreiheit beherrscht und einen Pflichtteil im Sinne einer quotalen, wertmäßigen Beteiligung am Nachlass, gibt es in England & Wales nicht. 

Hinweis: Soweit deutsches Erbrecht anzuwenden ist, kann aber natürlich ein Pflichtteil geschuldet sein.  Dies kann z.B. der Fall sein, wenn der Erblasser eine Immobilie in Deutschland hatte oder der Erblasser dauerhaft in Deutschland lebte. 

Angemessene Regelung und Versorgung im Todesfall 

Nach Sec. 1 (1) des Inheritance (Provision for Family and Dependants) Act 1975 kann beim zuständigen Gericht eine Anordnung beantragt werden, wenn der Erblasser keine angemessene finanzielle Regelung (reasonable financial provision) getroffen hat.

Domizil in England oder Wales

Nach derzeitigem Recht ist Voraussetzung für den Anspruch, dass der Erblasser sein Domizil (domicile) in England oder Wales hatte. Im Entwurf zum "Inheritance and Trustees' Powers Bill" war zwar erwogen worden, dies auszudehnen; in der Gesetz gewordenen Fassung wurde dies aber nicht übernommen. 

Anspruchsberechtigte Personen

Folgende Personen sind nach Sec. 1 (1) antragsberechtigt:

  • der überlebende Ehegatte
  • ein ehemaliger Ehegatte des Erblassers, sofern er nicht erneut geheiratet hat.
  • ein Kind des Erblassers;
  • jede Person (die kein Kind des Erblassers ist), welche, in einer Ehe des Erblassers als Kind behandelt wurde.

Ferner können nach Sec. 1 (1A) auch antragsberechtigt 

  • jede Person (welche nicht in den vorgehenden Abschnitten behandelt wurde) welche unmittelbar vor dem Tod ganz oder teilweise von dem Erblasser Unterhalt erhalten hat;
  • jede Person, welche in den letzten 2 Jahren vor dem Tod mit dem Erblasser wie ein Ehegatte zusammen gelebt hat.

"Angemessene Regelung"

Angemessen ist eine Regelung im Grundsatz dann (Ausnahmen gelten für den Ehegatten), wenn sie vernünftigerweise und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für den Unterhalt des Antragstellers getätigt worden wäre, Sec. 1 (2) (b). Bei der Prüfung soll das Gericht berücksichtigen

  • die finanziellen Mittel des Antragstellers, sein derzeitiger sowie sein zukünftiger Bedarf;
  • die finanziellen Mittel eines anderen Antragstellers, sein derzeitiger sowie sein zukünftiger Bedarf;
  • die finanziellen Mittel eines Begünstigten, sein derzeitiger sowie sein zukünftiger Bedarf;
  • die Verpflichtungen gegenüber einem Begünstigten;
  • der Wert und die Natur des Netto-Nachlasses (wobei unerheblich ist, ob das Vermögen in England belegen ist/war und ob nach den sonst geltenden IPR-Regeln englisches Recht insoweit anzuwenden ist); 
  • etwaige physische oder psychische Behinderung des Antragstellers oder eines Begünstigten;
  • jeden anderen Gesichtspunkt, einschließlich dem Verhalten des Antragstellers oder einer anderen Person, welche nach Auffassung des Gerichts erheblich ist.

Rechte der Kinder 

Erwachsene Kinder haben nach den oben dargestellten Grundsätzen regelmäßig keinen Anspruch. Allerdings kann sich aus den Umständen im Einzelfall auch etwas anderes ergeben.

Minderjährige Kinder oder Kinder in der Ausbildung können hingegen einen angemessenen Unterhalt verlangen. 

Besondere Regeln für den überlebenden Ehegatten

Abweichend vom Grundsatz bedeutet der Begriff "angemessene Regelung" bei einem Ehegatten dasjenige, was unter Berücksichtigung aller Umstände angemessen erscheint, unabhängig davon, ob es für die Versorgung benötigt wird, Sec. 1 (2) (a) (surviving spouse standard). Dabei ist auch auch auf das Alter des Antragstellers und die Dauer der Ehe  abzustellen, Sec. 3 (2) a. Regelmäßig soll der Ehegatte nicht schlechter stehen, als wenn die Ehe durch Scheidung aufgelöst worden wäre (imaginary divorce guideline). 

Beispiel: In Re Bestermann wandte der Erblasser sein Vermögen von GBP 1,5 Mio. im Wesentlichen wohltätigen Einrichtungen zu. Seiner Witwe wandte er nur eine Rente i.H.v. jährlich GBP 3.500 zu. Auf ihren Antrag sprach das Gericht ihr GBP 259.000 zu. Sie legte Berufung ein, da sie im Fall einer Scheidung GBP 350.000 erhalten hätte. Das Berufungsgericht erhöhte daraufhin den Betrag auf GBP 378.000. Das Berufungsgericht begründete dies damit, dass ein Ehegatte nach glücklicher Ehe und einwandfreiem Verhalten nicht weniger erhalten kann als im Fall einer Scheidung, welche vielleicht sogar auf ein Fehlverhalten der Ehefrau zurückzuführen sei. 

Geschiedener Ehegatte, rechtskräftige Trennung, aufgehobene Ehe

Auch ehemalige Ehegatten oder getrennt lebende Ehegatten können einen Anspruch auf angemessene Zuwendung aus dem Nachlass haben. Diese erhalten im Grundsatz aber nur dasjenige, was für eine angemessene Versorgung erforderlich ist, vgl. Sec. 1 (2) (a). Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Gericht aber die Anwendung des besonderen Standards des Ehegatten anordnen, Sec. 14. Kein Anspruch besteht, wenn im Trennungsverfahren das Recht auf Vorsorge im Todesfall ausgeschlossen wurde, vgl. Sec. 15. 

Schutz gegen Umgehung

Grundsätzlich ist auf den Wert des Netto-Vermögens des Erblassers abzustellen. Um Umgehungen zu vermeiden, wird allerdings hierzu auch das gezählt, was durch Schenkung auf den Todesfall oder aus vertraglichen Begünstigungen von Todes wegen außerhalb des Nachlasses übergegangen ist, Sec. 8. Ferner gehört hierzu, was im Wege der Joint Tenancy übergeht, Sec. 9.

Auch lebzeitige Schenkungen können berücksichtigt werden: Hat der Erblasser

  • in den letzten 6 Jahren vor dem Erbfall in der Absicht, einen Antrag auf angemessene Zahlungen zu vereiteln, über Vermögensgegenstände verfügt
  • ohne dass hierfür eine angemessene Gegenleistung erbracht wurde,
  • und ist dies für eine angemessene finanzielle Versorgung zweckmäßig

kann das Gericht auch anordnen, dass der Beschenkte einen bestimmten Geldbetrag oder anderen Vermögensgegenstand für die Zwecke von Vorsorgezahlungen leistet.

Entsprechendes gilt für die Übertragung von Vermögen auf einen Trust

Frist zur Antragstellung

Der Antrag ist im Grundsatz binnen 6 Monaten ab Bestellung des Nachlassabwicklers (personal representative) zu stellen. Das Gericht kann aber auf Antrag eine Fristverlängerung gewähren. 

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